Outside Publication

USA: International Electronic Discovery v. Data Protection (Privacy)

July 2007

Löchriges Verbot der Pretrial Discovery

“Electronic Discovery” ist im Haager Beweisüberkommen (HaagBewÜbK) nicht erwähnt. In Deutschland ist nach gegenwärtiger Rechtslage die “Pretrial Discovery” aus den USA nicht erlaubt, da die Bundesrepublik einen entsprechenden Vorbehalt nach Art. 23 HaagBewÜbK geltend gemacht hat: “The Federal Republic of Germany declares in pursuance of Article 23 of the Convention that it will not, in its territory, execute Letters of Request issued for the purpose of obtaining pre-trial discovery of documents as known in common law countries.” Rechtshilfeersuchen aus den USA auf “Pretrial Discovery” werden von der deutschen Justiz normalerweise zurückgewiesen. Es ist keineswegs klar, inwieweit die Electronic Discovery und die Pretrial Discovery deckungsgleich sind. Eine Definition von “Pretrial Discovery” findet sich weder in der HaagBewÜbK noch in den Prozessordnungen der USA. Regel 34 der US-Zivilprozessregeln (Federal Rules of Civil Procedures) spricht nur von der “Production of Documents and Things and Entry Upon Land for Inspection and Other Purposes.” Der Begriff “Pretrial”-Discovery ist in sich auch nicht schlüssig: Die Beweisausforschung der Discovery findet schließlich immer vor dem “Trial”, der Hauptverhandlung vor dem Richter oder den Geschworenen im Zivilprozess der USA, statt. Oder um einen erfahrenen US-Anwalt zu zitieren: “If you need discovery at the trial, you are in a lot of trouble.” Ein kürzlich ergangener Beschluss des BVerfG (B. v. 24.1.2007 - 2 BvR 1133/04) bringt zum Begriff “Pretrial Discovery”, der in der Entscheidung angesprochen wird, wenig Klarheit, auch wenn die Richter ausführen: “Der deutsche Staat schützt den Bürger, der sich im internationalen Rechtsverkehr bewegt, nicht vor der Verantwortlichkeit in einer fremden Rechtsordnung. Vielmehr unterstützt der Staat die Durchsetzung des ausländischen Regelungsanspruchs auch gegen eigene Staatsbürger und in der Erwartung einer gegenseitig gewährten Rechtshilfe.” Dies spricht für eine großzügige Gewährung der Rechtshilfe in die USA, höchstens begrenzt durch krasse Fälle des “Ausforschungsbeweises” i.S.d. deutschen ZPO. Die Beobachtung ist wohl richtig, dass die deutschen Behörden das Verbot der Pretrial Discovery nicht immer einheitlich ausgelegen und Raum zur Argumentation für die US-Kläger besteht, die Informationen aus Deutschland benötigen. I.Ü. ist hier anzumerken, dass auch das deutsche Recht eine Reihe von Vorschriften kennt, die der Discovery sehr nahe stehen (z.B. die steuerrechtlichen Offenlegungspflichten nach § 90 Abs. 2 AO - einschließlich im Ausland befindlicher Dokumente - und handelsrechtliche Pflichten nach § 258 i.V.m. § 239 Abs. 4 HGB). Die Tür einen Spalt breit hin zur Discovery öffnet auch der vor einiger Zeit neu gefasste § 142 Abs.1 ZPO über die Anordnung der Urkundenvorlegung: “Das Gericht kann anordnen, dass eine Partei oder ein Dritter die in ihrem oder seinem Besitz befindlichen Urkunden und sonstigen Unterlagen, auf die sich eine Partei bezogen hat, vorlegt. Das Gericht kann hierfür eine Frist setzen sowie anordnen, dass die vorgelegten Unterlagen während einer von ihm zu bestimmenden Zeit auf der Geschäftsstelle verbleiben.” Lüpke/Müller diskutieren, ob diese Maßnahmen mit dem Institut der Discovery deckungsgleich sind (NZI 2002, 588). Das kann man mit guten Gründen bestreiten, weil z.B. die Discovery keinen schlüssigen Parteivortrag voraussetzt und auch sonst das US-Gericht, anders als der deutsche Richter nach § 142 ZPO, nur in Ausnahmefällen den Anwälten bei der Tatsachenermittlung unter die Arme greift. In vielen Fällen stellt der Vorbehalt nach Art. 23 HaagBewÜbK ohnehin kein Hindernis für die Discovery dar, weil sich die von der Discovery betroffene Partei - nicht zuletzt aus Kostengründen! - freiwillig zur Kooperation mit dem US-Gericht und den gegnerischen Anwälten bereit erklärt, z.B. um Sanktionen nach US-Prozessrecht zu vermeiden oder weil sie selbst Discovery in den USA verlangt.

Electronic Discovery und deutscher Datenschutz

Wenig durchleuchtet ist das Thema, ob und wie dem Verlangen nach Discovery aus den USA in Deutschland der Datenschutz entgegengehalten werden kann. In den letzten Jahren hat es insb. zur Anwendung des HaagBewÜbk eine Reihe von wissenschaftlichen Abhandlungen gegeben (z.B. Junker, Discovery im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr, 1987), nicht aber zur Electronic Discovery. Hier befinden sich die Parteien auf ganz unsicherem Rechtsterrain. Falls personenbezogene Daten aus Deutschland in die USA übermittelt werden, greifen die Regeln des BDSG zur Datenübermittlung an ausländische Stellen nach §§ 4b und 4c BDSG ein. Hiernach gilt insb., dass “die Übermittlung unterbleibt, soweit der Betroffene ein schutzwürdiges Interesse an dem Ausschluss der Übermittlung hat, insbesondere wenn bei den in Satz 1 genannten Stellen ein angemessenes Datenschutzniveau nicht gewährleistet ist”. Da die USA aus europäischer Sicht bislang kein angemessenes Datenschutzniveau gewährleisten (was auf amerikanischer Seite häufig und teilweise vehement bestritten wird), bedarf es besonderer rechtlicher Vorkehrungen für den Datentransfer aus Europa in die USA. In Frage kommt z.B. eine Einwilligung der individuell Betroffenen nach § 4c Abs. 1 Nr. 1 BDSG (was angesichts der in den USA üblicherweise im Prozess verlangten Datenmengen in vielen Fällen aussichtslos ist). Die Alternative wäre der Weg über § 4c Abs.1 Nr. 3 BDSG, wenn “die [Daten-]Übermittlung für die Wahrung eines wichtigen öffentlichen Interesses oder zur Geltendmachung, Ausübung oder Verteidigung von Rechtsansprüchen vor Gericht erforderlich ist”. Letztere Vorschrift ist in der Praxis problematisch, weil sie die Anwendung der allgemeinen Voraussetzungen des BDSG für die Datenweitergabe voraussetzt: Zweckbindung nach § 28 Abs. 1, Erforderlichkeit der Daten für den Prozess oder Einhaltung der Grundsätze der Datenvermeidung und Datensparsamkeit nach § 3a BDSG. Dies gilt besonders dann, wenn die Daten nicht schon vor Ort (in Deutschland!) anwaltlich gesichtet und nach Prozessrelevanz gefiltert werden, bevor sie in die USA gelangen. Alle deutschen Datensätze bedenkenlos in die USA zu “schaufeln”, ist gefährlich. Auch ist zu bedenken, dass örtliche Datenschutzbeauftragte des Unternehmens und, wenn vorhanden, der Betriebsrat in ein solches Prozedere eingebunden werden müssen (§ 87 Abs. 1 BetrVG). Eine weitere Möglichkeit, die Datenweitergabe in die USA abzusichern, ist die Verwendung der EU-Standard-Vertragsklauseln für den Internationalen Datenverkehr (Art. 26 i.V.m. Art. 31 EU DatenschutzRiLi von 1995) über § 4c Abs. 2 BDSG. Ein dritter Weg ist der “Beitritt” der Partei, die in den USA die Daten empfängt, zu den EU/US Safe Harbor Principles für den internationalen Datentransfer, die vom US-Department of Commerce verwaltet werden. Alle diese Methoden haben ihre Vor- und Nachteile. Zusammengefasst: Die Durchführung der Discovery in Deutschland, ganz gleich ob sie auf freiwilliger Basis erfolgt oder nicht, ist rechtlich mit Risiken (Regressansprüche, behördliche Sanktionen usw.) gepflastert.

Empfehlungen der Sedona Conference

Die deutschen Datenschutzbeauftragten oder die sog. Art. 29-Arbeitsgruppe der Datenschutzbeauftragten auf europäischer Ebene in Brüssel, haben sich mit dem Problem der Electronic Discovery noch nicht intensiv auseinander gesetzt. Nicht wenige auf Deutschland bezogene Streitverfahren beginnen oder enden aber in den USA, weil es dort das scharfe Schwert der Discovery gibt. Die USA sind da schon etwas weiter: In den USA ist - neben der American Bar Association - die Arbeit der Sedona Conference zur Discovery besonders hervorzuheben. Die Sedona Conference ist ein angesehenes, nicht auf Gewinn angelegtes Institut in Sedona/Arizona, das seit Jahren Forschungs- und Weiterbildungsaufgaben im Bereich des Prozessrechts (Patentrecht, AntiTrust usw.) wahrnimmt. Die Empfehlungen der Sedona Conference, die “Sedona Principles”, sind zwar rechtlich nicht bindend, haben aber gleichwohl einen nicht zu leugnenden Einfluss auf die Rechtsentwicklung und die Interpretation der einschlägigen Normen. Die Mitglieder der Sedona Conference stammen aus der Rechtslehre und -praxis und führen regelmäßig Konferenzen durch - auch im Ausland. Besonders wichtig für das internationale Prozessrecht ist die Arbeitsgruppe 6 der Sedona Conference: “International Electronic Information Management, Discovery and Disclosure.” Diese Arbeitsgruppe ist gerade dabei, einen umfangreichen Bericht zur internationalen Discovery abzustimmen, der vermutlich noch in diesem Sommer veröffentlicht wird. Das Dokument wird Länderberichte und Empfehlungen zum Umgang mit der Electronic Discovery über die US-Grenzen hinweg enthalten. Im Allgemeinen kann den deutschen Unternehmen nur dringend geraten werden, sich mit dem Thema Electronic Discovery und deren Auswirkungen in einem internationalen Rechtsstreit so früh wie möglich vertraut zu machen und sogar schon bei drohender Gefahr eines Rechtsstreits in den USA frühzeitig interne Grundsätze für die Datenspeicherung zu entwickeln (sog. Litigation Hold Policies). Ggf. sollten diese Unternehmen mit der gegnerischen Seite einen gangbaren Weg aushandeln, der den Grundsätzen des Datenschutzes angemessen Rechnung trägt. Eine solche Vereinbarung zwischen den Parteien sehen auch die US-Regeln vor. Es bleibt zu wünschen, dass die Bemühungen der Sedona Conference in Zusammenarbeit mit den europäischen Datenschutzbehörden für mehr Rechtsklarheit sorgen.

This article was originally published by Bingham McCutchen LLP.