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OLG Braunschweig entscheidet über die Möglichkeit statutarischer ESG-Berichtspflichten für den Vorstand einer Aktiengesellschaft

Legal Insights Germany

December 18, 2023

In einem Beschluss vom 8. Mai 2023 (Az.: 2 W 25/23) hat sich das Oberlandesgericht (OLG) Braunschweig mit der Frage befasst, ob konkrete ESG-Berichtspflichten in der Satzung einer Aktiengesellschaft (AG) vorgesehen werden können. Diese Frage hat das OLG Braunschweig verneint und zur Begründung maßgeblich auf den Grundsatz der Satzungsstrenge und die Autonomie des Vorstandes bei der Geschäftsführung abgestellt.

Sachverhalt

Im Jahre 2022 hatten die Antragsteller vom Vorstand der Volkswagen AG als Antragsgegnerin verlangt, dass dieser die Tagesordnung der nächsten Hauptversammlung um einen Beschlussantrag erweitert, der auf eine Satzungsänderung gerichtet ist. Die entsprechend neu in die Satzung aufzunehmende Regelung sollte eine bestimmte Form der Nachhaltigkeitsberichtserstattung anordnen, wonach der Vorstand offenzulegen hat, welche direkten oder indirekten Lobbytätigkeiten die Konzerngesellschaften in Bezug auf Nachhaltigkeit und Klimawandel verfolgen oder unterstützen.

Dieses Verlangen der Antragsteller hat der Vorstand der Volkswagen AG per E-Mail im Juli 2022 als unzulässig zurückgewiesen. Im Oktober 2022 stellten die Antragsteller einen gerichtlichen Antrag nach § 122 Abs. 3 S. 1 AktG beim Amtsgericht Braunschweig auf Aufnahme der begehrten Satzungsänderung als Beschlussgegenstand bei der nächsten Hauptversammlung. Diesen Antrag hat das Amtsgericht im März 2023 zurückgewiesen. Mit der Beschwerde vor dem OLG Braunschweig als zuständiges Beschwerdegericht haben die Antragsteller ihr Begehren vollumfänglich weiterverfolgt.

Entscheidung des OLG Braunschweig

Das OLG Braunschweig hat die Beschwerde zurückgewiesen. Als Begründung wird maßgeblich darauf abgestellt, dass der beantragte Beschluss über die Satzungsänderung rechtswidrig sei.  Die vorgeschlagene Berichtspflicht des Vorstandes über Lobbyaktivitäten mit Bezug zu Nachhaltigkeit und Klimawandel sei mit dem Grundsatz der Satzungsstrenge nach § 23 Abs. 5 AktG nicht vereinbar. Sie stelle einen unzulässigen Eingriff in die zwingende aktienrechtliche Kompetenzverteilung zwischen den drei Organen Vorstand, Aufsichtsrat und Hauptversammlung dar.

Eine Einordnung der Berichtspflicht dahingehend, ob es sich hierbei um eine nach § 23 Abs. 5 AktG um eine abweichende oder bloß ergänzende Satzungsbestimmung handelt hat das OLG Braunschweig nicht vorgenommen, da auch bereits eine ergänzende Bestimmung mit den übrigen Vorschriften und tragenden Prinzipien des Aktienrechts vereinbar sein müsse, was bei der von den Antragstellern vorgeschlagenen Berichtspflicht nicht der Fall sei.

Zum einen sei die Berichtspflicht ein unzulässiger Eingriff in das Leitungsermessen des Vorstandes nach § 76 Abs. 1 AktG. Nach dieser Norm hat der Vorstand unter eigener Verantwortung die Gesellschaft zu leiten. Einfluss auf die Leitung der Gesellschaft könne die Hauptversammlung nur im Wege der Bestimmung des Unternehmensgegenstandes und der Unternehmensziele in der Satzung nehmen. Die Satzung dürfe jedoch keine konkreten Anweisungen an die Geschäftsführung enthalten.

Genau solche konkreten Weisungen seien aber in der Satzungsregelung zur Nachhaltigkeitsberichtspflicht enthalten, da diese in die aus §§ 315b Abs. 3, 289b Abs. 3, 289c HGB i.V.m. 264 Abs. 1 S. 1 HGB folgende Gestaltungskompetenz des Vorstandes bei Erstellung gesonderter nichtfinanzieller Erklärungen eingreife. Gemäß § 289b Abs. 3 Nr. 1 HGB hat eine solche gesonderte nichtfinanzielle Erklärung die inhaltlichen Vorgaben des § 289c HGB zu erfüllen. Gemäß § 289c Abs. 2 Nr. 1 HGB ist in dem Bericht auch auf Umweltbelange wie beispielsweise Treibhausgasemissionen, Wasserverbrauch, Luftverschmutzung, Nutzung von erneuerbaren und nicht erneuerbaren Energien oder den Schutz der biologischen Vielfalt einzugehen.

Nach Auffassung des OLG Braunschweig liegt es allein in der Kompetenz des Vorstandes und dessen Geschäftsführung, darüber zu entscheiden, wie eine nichtfinanzielle Konzernerklärung im Einzelnen ausgestaltet wird. Etwaige Konkretisierungen, Erweiterungen und inhaltliche Verschärfungen der Erklärungsinhalte über den gesetzlich festgeschriebenen Rahmen würden zu einer unzulässigen Einengung des Ermessens des Vorstandes in dieser Gestaltung führen. Solche unzulässigen Einschränkungen beinhalte auch die von den Antragstellern vorgeschlagene Satzungsänderung.

Zum anderen ordnet das OLG Braunschweig auch die von der Berichtspflicht ausgehende tatsächliche Wirkung als unzulässig ein. Die Wirkung sei ausschließlich nach objektiven Kriterien und nicht nach der subjektiven Zielrichtung der Antragsteller zu beurteilen. Im vorliegenden Fall gehe von der Berichtspflicht ein deutlicher Anreiz für den Vorstand dahingehend aus, seine Geschäftspolitik auf die positive Erfüllung der in den Berichten geforderten Umstände, also auf ökologisch nachhaltiges Wirtschaften, auszurichten. Dies vor dem Hintergrund, dass der Vorstand bei den Nachhaltigkeitsberichten im Hinblick auf ökologische Gesichtspunkte positive Entwicklungen und Entscheidungen berichten wolle. Dadurch liege in der Berichtspflicht zwar keine bindende Handlungsanweisung, jedoch eine faktische Zielvorgabe zur klimafreundlichen Ausrichtung der Geschäftspolitik. Aus diesen Umständen ergebe sich ein unzulässiger steuernder Einfluss durch die Satzung auf die Geschäftsführung durch den Vorstand, welcher ebenfalls gegen die Kompetenzzuweisung an den Vorstand zur Geschäftsführung nach § 76 Abs. 1 AktG verstoße.

Einordnung durch das Schrifttum

Die Argumentation des OLG Braunschweig ist im Schrifttum bislang überwiegend auf Zustimmung gestoßen.

Teilweise[1] wird jedoch angemerkt, dass die lediglich statutarisch geregelte Nachhaltigkeitsberichtspflicht das Ermessen des Vorstandes bei der Erfüllung gesetzlicher Pflichten im Bezug auf den Inhalt der nichtfinanziellen Erklärung nicht einschränken könne. Außerdem sei die Steuerungswirkung der Nachhaltigkeitsberichterstattung auf den Vorstand allenfalls gering, da dieser im Hinblick auf nachhaltigkeitsbezogenen Lobbyismus ohnehin nicht frei in seiner Entscheidung sei, sondern vielmehr stets abzuwägen habe, ob eine Lobby-Maßnahme mit den selbst erklärten Klimazielen vereinbar ist.

Die überwiegende Meinung in der Literatur[2] folgt der Entscheidung des OLG Braunschweig und bejaht einen Verstoß gegen die Satzungsstrenge durch die Nachhaltigkeitsberichtspflicht. Mit dem OLG Braunschweig wird betont, dass die gesetzlich vorgeschriebene Aufgabenverteilung zwischen Vorstand, Aufsichtsrat und Hauptversammlung für die AG wesensprägend sei und daher in keiner Weise zur Disposition stehe. Um positive Nachhaltigkeitsentwicklungen berichten zu können und dadurch öffentlicher Kritik zuvorzukommen, werde der Vorstand durch die Nachhaltigkeitsberichtspflicht aber in seiner Autonomie bei der Geschäftsführung beschränkt. Vereinzelt wird auch darauf verwiesen, dass der Verstoß gegen die Satzungsstrenge zusätzlich bereits mit einer Verletzung der nachträglich vom AktG in das HGB ausgelagerten Vorschriften über das aktiengesellschaftliche Bilanzrecht zu begründen sei, da auch diese Normen vom Grundsatz der Satzungsstrenge umfasst seien.

Fazit

Vorerst ist von einer Unzulässigkeit der satzungsmäßigen Einführung von Nachhaltigkeitsberichtspflichten für den Vorstand einer AG auszugehen. Gleichwohl besteht eine große Wahrscheinlichkeit, dass die Thematik aufgrund des zunehmenden Fokus der Öffentlichkeit und der Aktionäre, insbesondere institutioneller Investoren, auf ESG-Themen wie Nachhaltigkeit bei wirtschaftlichen Entscheidungen erneut Gegenstand eines gerichtlichen Verfahrens werden wird. Vor dem Hintergrund, dass eine höchstrichterliche Entscheidung zu einer solchen Fallkonstellation mangels Zulassung der Rechtsbeschwerde durch das OLG Braunschweig noch nicht ergangen ist, ist nicht auszuschließen, dass zukünftig eine anderslautende Entscheidung ergehen wird. Das Thema der rechtlichen Zulässigkeit von statutarischen ESG-Berichtspflichten für Vorstände von Aktiengesellschaften bleibt also auch nach der Entscheidung des OLG Braunschweig aktuell. Möglich erscheint auch, dass ESG-Gesetzgebung auf europäischer Ebene den Pflichtenkreis des Vorstandes einer AG bei der Nachhaltigkeitsberichterstattung weiter ausformt.

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[1] Klöhn in: NZG 2023, S. 645-652.

[2] Verse in: AG 2023, S. 578-583; Reichert, Groh in: NZG 2023, S. 1500-1503.