Newsletter

BAG stärkt Arbeitnehmerrechte in Bezug auf virtuelle Optionen bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses

Legal Insights Germany

13. Mai 2025

Das BAG hat im Urteil vom 19.03.2025 – anders als die beiden Vorinstanzen und entgegen seiner bisherigen Rechtsprechung – eine Verfallklausel in Allgemeinen Geschäftsbedingungen als den Arbeitnehmer unangemessen benachteiligend gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB und damit als unwirksam angesehen, die beinhaltet, dass „gevestete“ virtuelle Optionsrechte nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses aufgrund einer Eigenkündigung sofort verfallen. Das Gleiche gilt für eine Klausel, die vorsieht, dass die „gevesteten“ virtuellen Optionsrechte nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses doppelt so schnell verfallen, wie sie innerhalb der sog. Vesting-Periode entstanden sind.

Zum Sachverhalt

Der Kläger war vom 1. April 2018 bis zum 31. August 2020 bei der Beklagten beschäftigt. Sein Arbeitsverhältnis endete durch ordentliche Eigenkündigung. Im Jahr 2019 hatte der Kläger ein Angebot auf Zuteilung von virtuellen Optionsrechten angenommen. Nach den Bestimmungen für Mitarbeiter-Aktienoptionen (Employee Stock Option Provisions - ESOP) setzt die Ausübung der virtuellen Optionen, deren Ausübbarkeit nach Ablauf einer Vesting-Periode und ein sog. Ausübungsereignis wie etwa einen Börsengang voraus. Nach den ESOP werden die dem Arbeitnehmer zugeteilten virtuellen Optionen nach einer Mindestwartezeit von zwölf Monaten innerhalb einer Vesting-Periode von insgesamt vier Jahren gestaffelt ausübbar. Die Vesting-Periode wird ausgesetzt, wenn und solange der Arbeitnehmer von seiner Pflicht zur Arbeitsleistung ohne Gehaltsanspruch entbunden ist. Nach Nr. 4.2 ESOP verfallen bereits ausübbare, d.h. „gevestete“, aber noch nicht ausgeübte virtuelle Optionen unter anderem, wenn das Arbeitsverhältnis durch Eigenkündigung des Arbeitnehmers endet. Im Übrigen verfallen „gevestete“, aber noch nicht ausgeübte virtuelle Optionen nach Nr. 4.5 ESOP sukzessiv innerhalb eines Zeitraums von zwei Jahren nach Ende des Arbeitsverhältnisses.  

Zum Zeitpunkt des Ausscheidens des Klägers waren 31,25 % der ihm zugeteilten Optionsrechte „gevestet“. Der Kläger machte seinen Anspruch auf diese virtuellen Optionen geltend. Er argumentierte unter anderem, dass er die Ausübbarkeit der Optionen durch die Erbringung der Arbeitsleistung in der Vesting-Periode erarbeitet habe.

Die Beklagte lehnte den Anspruch unter Hinweis auf den Verfall der Optionsrechte nach den ESOP-Regeln ab. Sie vertrat die Auffassung, die virtuellen Optionsrechte seien eine Belohnung für die Betriebstreue bis zum Eintritt eines Ausübungsereignisses. Es handle sich lediglich um eine Verdienstchance, so dass bei einem Verfall kein erdienter Lohn entzogen werde.

Die Vorinstanzen hatten die vom Kläger erhobene Feststellungsklage abgewiesen.

Entscheidung des BAG

Das BAG entschied zugunsten des Klägers. Nach Auffassung des BAG waren die “gevesteten” virtuellen Optionen des Klägers nicht verfallen. Das BAG stellte fest, dass die ESOP-Bestimmungen Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) sind und die Verfallklauseln, die an die Beendigung des Arbeitsverhältnisses anknüpfen, einer AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle gemäß § 307 Abs. 1 S. 1 BGB nicht standhalten.

Das BAG folgt hierbei dem argumentativen Ansatz des Klägers, dass die durch den teilweisen Ablauf der Vesting-Periode ausübbaren, „gevesteten“ virtuellen Optionen auch eine Gegenleistung für die in dieser Zeit im aktiven Arbeitsverhältnis erbrachte Arbeitsleistung darstellen. Dies folgt insbesondere aus der Regelung zur Aussetzung der Vesting-Periode in Zeiten, in denen der Arbeitnehmer keinen Entgeltanspruch erwirbt. Der sofortige Verfall „gevesteter“ Optionen nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Eigenkündigung berücksichtigt die Interessen des Arbeitnehmers, der seine Arbeitsleistung bereits erbracht hat, nicht angemessen und steht dem Rechtsgedanken des § 611a Abs. 2 BGB entgegen, so das BAG. Zudem sah das BAG in dieser Regelung eine unverhältnismäßige Kündigungserschwerung, da der Arbeitnehmer zur Vermeidung einer möglichen Vermögenseinbuße das Arbeitsverhältnis vor einem ungewissen Ausübungsereignis nicht kündigen dürfte. 

Das BAG hält auch die Klausel Nr. 4.5 ESOP für unwirksam, wonach virtuelle Optionen innerhalb von zwei Jahren verfallen und damit doppelt so schnell, wie die Dauer der Vesting-Periode. Laut BAG berücksichtigt dies die Dauer der Arbeitserbringung während der Vesting-Periode zur Erlangung der ausübbaren Optionsrechte nicht hinreichend.

Kontext der BAG-Entscheidung

Das BAG nimmt ausweislich der Pressemitteilung zur Entscheidung vom 19.03.2025 von seiner bisherigen Rechtsprechung zur Zulässigkeit von Verfallsklauseln in Bezug auf Aktienoptionen (vgl. BAG, Urteil vom 28.05.2008, 10 AZR 351/07) ausdrücklich Abstand.

Bislang hatte das BAG den sofortigen Verfall von bereits „gevesteten“ Optionen, die während des Arbeitsverhältnisses noch nicht ausgeübt werden konnten, nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses für zulässig erachtet. Im Urteil vom 28.05.2008 hatte der 10. Senat entschieden, dass bei Aktienoptionen die zu anderen Sondervergütungen entwickelten Grundsätze in Bezug auf Bindungsklauseln gerade nicht uneingeschränkt herangezogen werden könnten. Das BAG argumentierte im Jahr 2008, dass Aktienoptionen im Gegensatz zu Sondervergütungen einen ungleich spekulativeren Charakter hätten. Sie stellten weniger eine Gegenleistung für erbrachte Leistungen dar, sondern vielmehr eine Gewinnchance und einen Anreiz für zukünftigen Einsatz. Der Arbeitnehmer könne nicht auf die Werthaltigkeit der Option vertrauen und sei daher nicht in gleicher Weise schutzwürdig wie bei Sondervergütungen. Daher sei ein ungekündigtes Arbeitsverhältnis als Voraussetzung zur Ausübung der Bezugsrechte dem Arbeitnehmer eher zuzumuten als bei Sonderleistungen ohne oder mit geringerem spekulativem Charakter. Das BAG kam seinerzeit zu dem Ergebnis, dass eine Regelung zulässig sei, die den ersatzlosen Verfall aller Bezugsrechte bei einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses vor Ablauf der Wartezeit vorsieht; dies gelte sogar unabhängig vom Beendigungsgrund.

An dieser, die Arbeitgeberinteressen stützenden Sichtweise wird laut der Pressemitteilung nun nicht mehr festgehalten. Das BAG scheint vielmehr offenbar nun den Grundsatz, dass bereits „erdienter Lohn“ nicht mehr entzogen werden dürfe, auch auf (virtuelle) Optionen anzuwenden.

Bedeutung für die Praxis

Die BAG-Entscheidung vom 19.03.2025 wird vermutlich für Unternehmen, die Mitarbeiterbeteiligungsprogramme vorhalten, erhebliche Bedeutung haben.

Üblicherweise enthalten derartige Programme Verfallklauseln, die mit Blick auf die bisherige, nunmehr geänderte Rechtsprechung ausgestaltet wurden. So wird die ordentliche Arbeitnehmerkündigung jedenfalls von einem Teil der Mitarbeiterbeteiligungsprogramme, ebenso wie in dem vom BAG nun entschiedenen Fall, in die sog. „Bad-Leaver“-Fallgruppe eingeordnet und führt zu einem Verfall der noch nicht ausübbaren, teilweise auch der ausübbaren Optionen bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Es dürfte daher bei vielen Mitarbeiterbeteiligungsprogrammen Anpassungsbedarf geben.

Viele Fragen sind allerdings derzeit noch offen, wie etwa: Welche Fallgruppen sind von der Rechtsprechungsänderung im Einzelnen umfasst? Wäre ein abschmelzendes Vesting („De-vesting“) zulässig, wenn die Dauer der Abschmelzungs-Phase der Vesting-Periode entspricht? Die Entscheidungsgründe des Urteils vom 19.03.2025 werden hoffentlich mehr Klarheit geben, wie Mitarbeiterbeteiligungsprogramme aus Arbeitgebersicht sinnvoll angepasst werden können.

______________

WEITERE ARTIKEL DIESER AUSGABE: