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Europa gründet neu: Die EU-Strategie für Start-ups und Scale-ups

Legal Insights Germany

23. Juli 2025

Die europäische Wirtschaft steht aktuell unter einem erheblichen strukturellen Anpassungsdruck. Vor dem Hintergrund des schnellen technologische Wandels, vielfältiger geopolitischer Spannungen, eines sich zuspitzenden Fachkräftemangels sowie der globalen Konkurrenz, insbesondere in den Bereichen Deep Tech und Künstliche Intelligenz, wird deutlich, dass die EU ihre Innovationskraft deutlich erhöhen muss, wenn sie wirtschaftlich souverän und wettbewerbsfähig bleiben will und der aktuelle Wohlstand gesichert werden soll. Dabei kommt Start-ups und Scale-ups eine bedeutende Rolle zu. Sie gelten als Triebkraft für Innovation und Kreativität, sind wesentliche Treiber disruptiver Technologien, neuer Geschäftsmodelle und dynamischer Beschäftigungsimpulse und sind geeignet, die Produktivität erheblich zu steigern, hochwertige Arbeitsplätze zu schaffen und Talente sowie Investitionen anzuziehen. Gerade diese Anziehungswirkung für neue Talente und Arbeitskräfte macht Start-ups und Scale-ups für alternde Volkswirtschaften besonders wertvoll. Weiterhin zeichnen sich Start-ups und Scale-ups auch dadurch aus, dass sie neuartige Lösungen für die Bedürfnisse ihrer Kunden anbieten, Nischen- und aufstrebende Märkte bedienen und Probleme angehen, die von größeren Unternehmen oft übersehen bzw. nicht adressiert werden. So können durch die Förderung von Start-ups und Scale-ups in der EU neue Märkte geschaffen werden, die es der Europäischen Union ermöglichen, eine weltweite Führungsrolle zu übernehmen und Abhängigkeiten zu reduzieren.

Trotz dieser mannigfaltigen Vorteile bleibt das Innovationsökosystem in der EU seit Jahren fragmentiert. Zahlreiche Berichte diagnostizieren der europäischen Wirtschaft strukturelle Wachstumsbarrieren, beispielsweise auf Basis einer zu geringen Kapitalverfügbarkeit, der regulatorischen Komplexität und uneinheitlicher Märkte. Die neue Strategie der EU-Kommission zielt nun darauf ab, diese Schwächen zu adressieren und die Bedingungen für ein Unternehmenswachstum gezielt zu verbessern. Hierdurch sollen die bestehenden, soliden Grundlagen für die Innovation von Start-ups und Scale-ups in der EU, wie beispielsweise der Zugang zu einem Binnenmarkt mit 450 Millionen Verbrauchern, das Bestehen eines wirksamen und fairen Wettbewerbs und eines berechenbaren Investitions- und Geschäftsumfelds, das auf Rechtsstaatlichkeit basiert, effizient genutzt werden.

Beweggründe der EU-Kommission im Einzelnen

Die neue Strategie zur Förderung von Start-ups und Scale-ups der Kommission ist dabei vor allem durch folgende Entwicklungen und Problemkreise motiviert:

Insbesondere im Bereich der strategischen Technologien/ Schlüsseltechnologien (z. B. Künstliche Intelligenz, Quantentechnologien, fortgeschrittene Halbleiter, Medizintechnologie, Biotechnologie, saubere Technologien, Energie, Robotik etc.) besteht eine reale Gefahr, in Abhängigkeit von China oder den USA zu geraten. Angesichts zunehmender globaler Spannungen zielt die EU darauf ab, ihre Fähigkeit zu stärken, Schlüsseltechnologien eigenständig zu entwickeln und zu skalieren. Start-ups und Scale-ups sind ein wesentliches Mittel, um diese Eigenständigkeit und Wettbewerbsfähigkeit der EU in diesen zukunftsträchtigen Bereichen zu sichern.

In der Vergangenheit war zu beobachten, dass viele europäische Start-ups sich in späteren Phasen bspw. in die USA verlagert haben, weil es dort bessere Bedingungen für Wachstumskapital gibt. Diese Kapitalflucht, oder auch "Scale-up Exodus", soll durch die neue Strategie möglichst effektiv eingedämmt werden. Auch die Abwanderung talentierter Gründer*innen und Entwickler*innen in innovationsfreundlichere Umfelder (sog. Brain Drain) soll verhindert werden.

Das Potenzial des Binnenmarktes soll besser ausgeschöpft werden können, indem unterschiedliche regulatorische Anforderungen in den Mitgliedstaaten angeglichen werden. EU-weit einheitliche Verfahren vereinfachen die Skalierung, und ermöglichen so die (auch geographische) Entwicklung von Start-Ups in der EU ohne unverhältnismäßig hohe Kosten zu verursachen.

In den letzten Jahren hat sich in der Weltwirtschaft ein regelrechter „Systemwettbewerb“ mit autoritären Staaten im Bereich der Innovationsentwicklung entfaltet. Vor diesem Hintergrund ist die EU gezwungen, ihre wirtschaftliche Innovationsfähigkeit zu beweisen und ihre technologische Resilienz auszuformen, um ihre Stellung in diesem Umfeld zu verteidigen.

Kernmaßnahmen der Strategie

Die Strategie verfolgt einen ganzheitlichen Ansatz, gestützt auf fünf zentrale Säulen.

Bessere Finanzierung und vereinfachter Zugang zu Kapital für Start-ups und Scale-ups

In diesem Zusammenhang soll unter anderem der Europäische Innovationsrat (EIC), der bisher größte europäische Risikokapitalfonds für fortgeschrittene Technologien, erweitert und vereinfacht werden, wobei ein Schwerpunkt auf eine herausforderungsorientierte, stufenweise Finanzierung risikoreicher Innovationen gelegt wird. Zudem soll ein „Scale-up Europe Fonds“ Wachstumsfinanzierungen erleichtern. Ziel ist es, private und öffentliche Mittel unter einem Dach zu bündeln und die bislang vorhandene Finanzierungslücke für das Wachstum von Start-ups und Scale-Ups (insbesondere von Deep-Tech-Scale-up-Unternehmen) zu schließen. Weiterhin soll ein europäischer Innovationsinvestitionspakt entwickelt werden, um institutionelle Investoren zu ermutigen in EU-Fonds und Scale-ups zu investieren. Europäische Business Angels und ihre Netzwerke sollen ebenfalls unterstützt werden, um jungen Start-ups mehr Wachstumschancen zu bieten.

Regulatorische Vereinheitlichung und Vereinfachung

Die Kommission plant einheitliche Vorschriften für Unternehmen in der EU zu schaffen, um bürokratische Belastungen zu vermindern, den Rechtsrahmen zu vereinfachen und die Kosten im Zusammenhang mit Insolvenz-, Arbeits- und Steuerrecht zu senken. Zudem sollen durch Legislativvorschläge die regulatorischen Belastungen in strategischen Sektoren verringert werden. Konkret soll beispielsweise die Einführung einer europäischen „Business Wallet“ dazu dienen, die digitale Interaktion zwischen Wirtschaftsakteuren und öffentlichen Verwaltungen zu erleichtern. Zudem sollen auch regulatorische „Sandkästen“ gefördert werden, um Innovatoren die Möglichkeit zu eröffnen, innovative Geschäftsmodelle in realen Umgebungen testen zu können. Für die Mitgliedstaaten der europäischen Union soll ein freiwilliger „Innovations-Stresstest“ empfohlen werden, um die Auswirkungen neuer Rechtsvorschriften auf Innovationen zu bewerten.

Unterstützung und Gewinnung von Talenten

Die „Blue Carpet Initiative“ zielt darauf ab, hochqualifizierte Fachkräfte aus der EU und aus Drittstaaten anzuziehen und zu halten. So soll insbesondere die grenzüberschreitende Mobilität von Start-up-Mitarbeitenden und Gründer*innen erleichtert werden und schnellere Visa-Verfahren und einheitliche Anerkennungssysteme für Qualifikationen geschaffen werden. Auch die unternehmerische Bildung und die Weiterqualifizierung sollen gefördert werden und steuerliche Hindernisse für grenzüberschreitend tätige Arbeitnehmer*innen sollen beseitigt werden.

Rasche Marktakzeptanz und Expansion

Der öffentliche Sektor soll dazu angehalten werden, durch gezielte Vergabereformen innovativen Unternehmen Zugang zu öffentlichen Aufträgen zu eröffnen. Zudem soll die Initiative „Lab to Unicorn“ die Kommerzialisierung von Forschungsergebnissen beschleunigen, indem sie Start-up-Hubs, die in starken universitären Ökosystemen verwurzelt sind, bei der grenzüberschreitenden Vernetzung und Zusammenarbeit unterstützt und Lizenzierungsrahmen entwickelt.

Besserer Zugang zu Infrastrukturen, Netzen und Diensten

Start-ups sollen durch gezielte Fördermaßnahmen vereinfachten Zugang zu Infrastruktur und Dienstleistungen erhalten. So sollen eine „Charter of Access“ und der Europäische Innovationsakt dazu dienen, den Zugang von Start-ups und Scale-ups zu Forschungs- und Technologieinfrastrukturen zu erleichtern. Zudem werden Leitlinien zu den Bestimmungen für staatliche Beihilfen bereitgestellt, um die Zugangsbedingungen für Universitäten und öffentliche Forschungseinrichtungen zu staatlichen Beihilfen zu klären und eine Unterstützung zu fördern.

Kritische Würdigung und offene Herausforderungen

Die Bemühungen der Kommission zur Entwicklung einer neuen Strategie zur Förderung von Start-ups und Scale-ups in der EU sind ein wichtiges Signal für Gründer*innen und Investoren und auch vor dem Hintergrund der aktuellen geopolitischen Entwicklungen von großer Bedeutung. Das Bekenntnis hin zur Förderung von Innovation und das Bemühen einen wirtschaftlichen Strukturwandel einzuleiten, stellt einen Meilenstein und ein wichtiges statement dar, um die Eigenständigkeit und Wettbewerbsfähigkeit der EU für die Zukunft abzusichern und ein attraktives Umfeld für Start-ups und Scale-ups zu schaffen, das nicht nur deren Ansiedlung und nachhaltige Entwicklung fördert, sondern auch deren spätere Abwanderung verhindert.

Erst kürzlich (am 8. Juli 2025) hat die Kommission zur Einreichung von Stellungnahmen zu dem Europäischen Innovationsgesetz aufgefordert und eine öffentliche Konsultation eingeleitet. Noch am selben Tag, hat die Kommission eine zweite öffentliche Konsultation in Zusammenhang mit der Strategie gestartet, zu dem 28. Regime. Sowohl das Europäische Innovationsgesetz als auch das 28. Regime sind Teil der Bemühungen, eine regulatorische Vereinheitlichung und Vereinfachung in der EU umzusetzen. Mit diesen öffentlichen Konsultationen zu den geplanten Maßnahmen, geht die EU die ersten praktischen Schritte, um an der Schaffung der bestmöglichen Rahmenbedingungen für Innovatoren zu arbeiten und ihnen eine echte Möglichkeit zu eröffnen, sich für den Standort Europa zu entscheiden.

Es bleibt abzuwarten, inwieweit die zuvor dargestellten Ziele nun tatsächlich in der rechtlichen Praxis verankert werden können und in der wirtschaftlichen Realität Einzug halten, um die beabsichtigten Ziele auch effektiv umsetzen zu können und den beabsichtigten Strukturwandel herbeizuführen. Der Umstand, dass es der Strategie bislang noch an verbindlichen Gesetzesinitiativen mangelt, lässt genau diese Zielerreichung aktuell jedoch noch ungewiss erscheinen. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund der unterschiedlichen rechtlichen, wirtschaftlichen und tatsächlichen Ausgangslagen in den Mitgliedstaaten der EU, die gewisse Umsetzungshürden begründen.

Eine Schlüsselrolle bei der Beurteilung des Erfolgs der Strategie wird sicherlich das tatsächliche Ausmaß der privaten Beteiligungen spielen. So können bspw. die mit dem „Scale-up Europe Fonds“ und dem europäischen Innovationsinvestitionspakt verfolgten Ziele, nur dann eine erhebliche Durchschlagkraft entwickeln, wenn ausreichende private und institutionelle Co-Investitionen vorhanden sind. Weiterhin erscheint es sinnvoll, die Strategie noch um Evaluierungs- und Monitoring-Instrumente zu ergänzen, um die Erreichung der mit der Strategie verfolgten Ziele zu prüfen und gegebenenfalls nachsteuern zu können.

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