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Handlungsbedarf: Beschäftigung freiberuflicher Lehrkräfte

Legal Insights Germany

23. Juli 2025

Am 28. Juni 2022 hat das Bundessozialgericht (BSG) über die Beschäftigung einer Musiklehrerin entschieden (Aktenzeichen: B 12 R 3/20 R). Die Lehrerin war an einer Musikschule in Herrenberg als „freiberufliche“ Lehrkraft angestellt und erhielt hierfür ein Honorar je geleisteter Unterrichtsstunde. Die Musikschule teilte die einzelnen Schüler zu, die Lehrkraft musste den Unterricht in Räumlichkeiten der Schule erbringen und einen Stundenplan einhalten. Einmal jährlich musste die Lehrerin ein Schüler-Vorspiel vorbereiten. Zweimal im Jahr fand eine Lehrerkonferenz statt.

Das BSG hat entschieden, dass die Lehrkraft nicht als Selbstständige tätig war, sondern als sozialversicherungspflichtige Beschäftigte. Dabei hat das BSG grundsätzlich die bereits bisher anerkannten Kriterien zur Feststellung einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nach § 7 Abs. 1 S. 1 SGB IV angewandt. Hiernach kommt es darauf an, ob Beschäftigte eine Tätigkeit nach Weisungen erbringen und in die Organisation des Arbeitgebers eingegliedert sind (§ 7 Abs. 1 S. 2 SGB IV). Dafür sprachen im entschiedenen Fall die Vorgaben durch die Musikschule sowie die über die eigentliche Lehrtätigkeit hinausgehenden Verpflichtungen (Vorspiel, Lehrerkonferenzen). Eine selbstständige Tätigkeit lag demnach nicht vor. Diese ist nach den Vorgaben des BSG insbesondere durch unternehmerisches Risiko und eigene unternehmerische Chancen gekennzeichnet.

Für das BSG war in der „Herrenberg-Entscheidung“ nicht entscheidend, dass die Lehrerin nicht nur für die Musikschule tätig war, sondern auch darüber hinaus Unterricht erteilte. Maßgeblich war vielmehr, dass die Lehrkraft im Rahmen ihrer Tätigkeit bei der Musikschule keine eigenen Schüler akquirieren konnte. Die Beziehung zu den Schülern oblag allein der Musikschule. Das BSG hat in der Herrenberg-Entscheidung zwar die Kriterien einer abhängigen Beschäftigung nicht geändert, gleichwohl aber neu gewichtet.

Auswirkungen der Entscheidung

Die „Herrenberg-Entscheidung“ betraf eine Musiklehrerin. Das BSG hat überdies am 5. November 2024 entschieden, dass auch eine Lehrkraft an einer Volkshochschule ebenfalls abhängig beschäftigt sein kann. Dabei kam es weitgehend auf dieselben Kriterien wie in der Herrenberg-Entscheidung an. Das BSG hat hierbei die Herrenberg-Entscheidung weitgehend bestätigt. Dies legt den Schluss nahe, dass das BSG die Rechtsprechung – jedenfalls für Lehrkräfte – auch künftig in ähnlich gelagerten Fällen an der Herrenberg-Entscheidung ausrichten wird. Auch die Sozialversicherungsträger haben auf diese geänderte Rechtsprechung reagiert. Hierfür spricht das veröffentliche Besprechungsergebnis der sozialversicherungsrechtlichen Spitzenorganisationen – GKV-Spitzenverband, Rentenversicherung und Bundesagentur für Arbeit: Bereits ab dem 1. Juli 2023 wollen diese Organisationen die Prüfpraxis abhängiger Beschäftigung am Herrenberg-Urteil ausrichten. Selbst wenn Lehrkräfte weitgehend frei von Weisungen tätig werden, soll hiernach eine abhängige Beschäftigung vorliegen, wenn die Lehrkraft keine eigene betriebliche Organisation einsetzt, kein Unternehmerrisiko trägt und keine unternehmerischen Chancen hat.

Weiter Anwendungsbereich

Dies spricht für einen weiten Anwendungsbereich der Herrenberg-Rechtsprechung. Hiervon können alle Personen betroffen sein, die praktischen oder theoretischen Unterricht erbringen. Dies betrifft in erster Linie Bildungseinrichtungen. Allerdings setzen auch Unternehmen häufig Freiberufler ein, die – im weiteren Sinne – „lehrend“ tätig werden. Dies kann, je nach Ausgestaltung der Tätigkeit, einen privaten Coach betreffen, aber auch regelmäßig im Unternehmen auftretende Referenten, Vortragende oder Lehrkräfte einer In-House-Fortbildung. Gerade Lehrkräfte verfügen häufig nicht über eine eigene „betriebliche Organisation“ und müssen sich an Vorgaben des Auftraggebers halten – etwa zu Ort, Zeit, Inhalt und Dauer einer Veranstaltung.

Gesetzliche Übergangsregelung

Der Gesetzgeber hat mit § 127 SGB IV zunächst bis zum 31. Dezember 2026 eine Übergangsregelung geschaffen. Die Sozialversicherungspflicht für abhängig beschäftigte Lehrkräfte tritt hiernach bis 31. Dezember 2026 nicht ein, wenn Auftraggeber und Lehrkraft von einer selbstständigen Tätigkeit ausgegangen sind. Zudem muss die Lehrkraft ausdrücklich zustimmen, dass bis zum 31. Dezember 2026 keine Versicherungs- und Beitragspflicht aufgrund Beschäftigung besteht oder eintritt.

Diese Übergangsregelung ist für betroffene Auftraggeber äußerst sinnvoll. Denn sofern nach der Rechtsprechung des BSG eine abhängige Beschäftigung vorliegen würde, der Auftraggeber aber gleichwohl in der Vergangenheit keine Sozialversicherungsbeiträge abgeführt hat, kann das erhebliche Folgen haben: Die Sozialversicherungsbeiträge können im Rahmen der vierjährigen Verjährung nachberechnet werden (§ 25 Abs. 1 SGB IV). Der Auftraggeber haftet überdies für den vollständigen Sozialversicherungsbeitrag – also Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteil (§ 28c Abs. 1 S. 1 SGB IV). Gleichwohl kann der Auftraggeber den Arbeitnehmerbeitrag nur in sehr begrenztem Umfang von der Lehrkraft zurückverlangen: Der Abzug darf nur vom Arbeitsentgelt erfolgen (§ 28g S. 2 SGB IV). Ein zunächst unterbliebener Abzug kann nur bei den nächsten drei Gehaltszahlungen nachgeholt werden (§ 28g S. 3 SGB IV). Zunächst sind Pfändungsfreigrenzen zu berücksichtigen (§ 394 S. 1 BGB). Auf den Betrag werden Säumniszuschläge erhoben (§ 24 SGB IV). Hat der Arbeitgeber Sozialversicherungsbeiträge nicht abgeführt, kann dies sogar den Straftatbestand des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt (§ 266a StGB) erfüllen.

Handlungsbedarf für Auftraggeber

Bis zum 31. Dezember 2026 sollten Auftraggeber daher von der Übergangsregelung Gebrauch machen. Bestehende Verträge sollten eingehend überprüft werden. Dabei sollten Unternehmen insbesondere klären, ob diese Vertragsverhältnisse so gestaltet werden können, dass sie auch ab dem 1. Januar 2027 sozialversicherungsfrei sind. In Zweifelsfällen bietet ein Statusfeststellungsverfahren Sicherheit. Hierbei stellt die Deutsche Rentenversicherung auf Antrag fest, ob ein Vertragsverhältnis eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung oder eine selbstständige Tätigkeit darstellt (§ 7a SGB IV). 

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