Am 1. April 2025 ist das Justizstandort-Stärkungsgesetz in Kraft getreten. Mit diesem Gesetz werden die Bundesländer ermächtigt, auf Ebene der Oberlandesgerichte (sog. Commercial Courts) und der Landgerichte (sog. Commercial Chambers) spezialisierte Spruchkammern für Handelssachen einzurichten, vor denen in englischer Sprache verhandelt werden kann. In einem Bundesland kann jeweils nur ein Commercial Court eingerichtet werden. Commercial Chambers sind hingegen an beliebig vielen Landgerichten in einem Bundesland möglich.
Commercial Courts sind bei bestimmten Wirtschaftsstreitigkeiten zuständig. Diese Streitigkeiten umfassen insbesondere bürgerliche Rechtsstreite zwischen Unternehmern (außer die Bereiche des Geistigen Eigentums und des Wettbewerbsrechts), Streitigkeiten aus oder im Zusammenhang mit dem Erwerb eines Unternehmens sowie Streitigkeiten zwischen Gesellschaft und Mitgliedern des Leitungsorgans oder Aufsichtsrats.
Die Zuständigkeitsstreitwertgrenze liegt bei EUR 500.000. Ferner müssen die Parteien die Zuständigkeit ausdrücklich oder stillschweigend vereinbart haben. Alternativ kann der Kläger dies auch in der Klageschrift nach dem neuen § 610 ZPO beantragen, sofern der Beklagte in der Klageerwiderung ohne Einwand darauf eingeht. Gleiches gilt für die Festlegung der Verfahrenssprache Englisch gemäß § 184a GVG, die aber nicht zwingend ist.
Die Entscheidung für ein Verfahren vor einem Commercial Court führt zu einem verkürzten Instanzenzug. Das einzige Rechtsmittel gegen die Entscheidung des Commercial Court ist die zulassungsfreie Revision zum Bundesgerichtshof (§ 614 ZPO). Im Revisionsverfahren muss die Verfahrensführung auf Englisch beantragt werden. Der Bundesgerichtshof kann diesen Antrag ablehnen oder zunächst die Verhandlung auf Englisch anordnen und später zur Verfahrenssprache Deutsch wechseln (§ 184b GVG).
Das Justizstandort-Stärkungsgesetz ermöglicht außerdem die Einrichtung englischsprachiger Commercial Chambers bei den Landgerichten für bestimmte Streitigkeiten. Die Bundesländer entscheiden selbst, bei welchen Landgerichten diese Kammern eingerichtet werden und ob sie über den Landgerichtsbezirk hinaus zuständig sein sollen. Commercial Chambers sind dabei reguläre Kammern an den Landgerichten. Die Streitigkeit muss in die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts und in ein der Commercial Chamber zugewiesenes Sachgebiet fallen. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, können die Parteien den Rechtsstreit vor eine Commercial Chamber bringen, indem sie die Verfahrensführung auf Englisch vereinbaren oder der Beklagte sich in der Klageerwiderung rügelos in dieser Sprache einlässt (§ 184a Abs. 3 GVG). So können die Parteien in bestimmten Wirtschaftsstreitigkeiten erstinstanzlich auf Englisch verhandeln und den regulären Instanzenzug nutzen.
Für beide Institutionen, also sowohl die Commercial Courts als auch die Chambers, gilt, dass die Parteien sich gemäß § 612 ZPO auf einen abweichenden Verfahrensablauf einigen können (sog. Case Management Conference). Diesen können sie somit nach den Besonderheiten der jeweiligen Streitigkeit gemeinsam strukturieren. Zudem ist es möglich, die Erstellung von mitlesbaren Wortprotokollen zu vereinbaren. Diese Regelungen orientieren sich am üblichen Prozedere in Schiedsverfahren. Vertraulichkeit bzw. Geheimnisschutz bleibt weiterhin ein heikles Thema. Denn der Öffentlichkeitsgrundsatz gilt auch in Verhandlungen vor den Commercial Chambers und Courts. Sofern es nicht um die Frage geht, ob und zwischen wem gestritten wird, sondern lediglich um den Schutz von Betriebsgeheimnissen, kann das Justizstandort-Stärkungsgesetz abhelfen, wodurch der Schutz von Geschäftsgeheimnissen nochmals deutlich gesteigert wurde. Denn der Verfahrensgegner wird verstärkt zur Diskretion verpflichtet. Außerdem kann, wenn über Geschäftsgeheimnisse verhandelt wird, die Öffentlichkeit ausgeschlossen werden. Dem angemessenen Umgang mit Betriebsgeheimnissen kann daher bereits im Rahmen der Case Management Conference Rechnung getragen werden.
Seit April 2025 bieten Baden-Württemberg, Berlin, Bremen, Hamburg und Nordrhein-Westfalen bereits einen Commercial Court an, Bayern seit Juni, Hessen seit Juli 2025. Niedersachsen und Sachsen planen ebenfalls die Einführung im Laufe dieses Jahres, sodass es insgesamt voraussichtlich neun Commercial Courts in Deutschland geben wird. Die inhaltliche Ausgestaltung variiert zwischen den Bundesländern. In Berlin ist der Commercial Court am Kammergericht auf Streitigkeiten im Bau- und Architektenrecht beschränkt. Im Gegensatz dazu schöpft des Oberlandesgericht Celle die gesetzlich mögliche Zuweisung von Streitigkeiten voll aus.
Auf der Ebene der Commercial Chambers bei den Landgerichten gibt es noch größere Unterschiede. In Baden-Württemberg haben die Commercial Chambers dieselbe Spezialisierung wie der Commercial Court, was eine einheitliche Herangehensweise innerhalb des Bundeslandes ermöglicht. In Bremen hingegen existieren keine Commercial Chambers, obwohl ein Commercial Court vorhanden ist, was zu einer anderen Verfahrensstruktur führt.
Diese Unterschiede in der Struktur und Spezialisierung der Commercial Courts und Chambers spiegeln die verschiedenen rechtspolitischen Ansätze der Bundesländer wider. Aufgrund dieser Übertragung der Kompetenz auf die Bundesländer besteht die Gefahr, dass ein Flickenteppich an Gerichtszuständigkeiten entsteht, der zur Unübersichtlichkeit führt.
Die Neuerungen, die das Justizstandort-Stärkungsgesetz mit sich bringt, sind lobenswert. Die Einführung von wirtschaftsrechtlich spezialisierten Commercial Courts und Commercial Chambers könnte die Attraktivität Deutschlands als Justizstandort erheblich steigern. Die genaue Entwicklung bleibt jedoch abzuwarten. Ob die Commercial Courts und Chambers beispielsweise eine valide Alternative zur Schiedsgerichtsbarkeit darstellen können, ist insbesondere von den individuellen Mandanteninteressen und den Gegebenheiten des konkreten Mandats abhängig. Jedoch lohnt es sich, die Entwicklungen der Commercial Courts und Chambers zu beobachten.
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