Neues zur Entgelttransparenz
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05. Dezember 2025Mit Urteil vom 23. Oktober 2025 (Aktenzeichen: 8 AZR 300/24) hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) den sog. Paarvergleich bestätigt und hiermit Entgeltgleichheitsklagen erheblich erleichtert. Das höhere Gehalt eines einzelnen männlichen Kollegen begründet die Vermutung einer geschlechtsspezifischen Entgeltbenachteiligung (sog. Paarvergleich). Die Entscheidung steht im Zusammenhang mit der bis zum 7. Juni 2026 umzusetzenden Entgelttransparenzrichtlinie („ETRL“). Hierzu hat die Kommission „Bürokratiearme Umsetzung der Entgelttransparenzrichtlinie“ am 7. November 2025 ihren Abschlussbericht veröffentlicht. Dieser bietet erste Anhaltspunkte, wirft indes auch einige Fragen auf.
Rechtlicher Hintergrund
Männer und Frauen haben Anspruch auf gleiches Entgelt für gleiche oder gleichwertige Arbeit. Für Klagen auf gleiches Entgelt gilt eine Beweislastumkehr: Legt eine Arbeitnehmerin dar, dass ihr Entgelt geringer ist als das Entgelt männlicher Kollegen mit gleicher oder gleichwertiger Arbeit, wird grundsätzlich vermutet, dass die Entgeltdifferenz wegen des Geschlechts besteht. Kann der Arbeitgeber diese Vermutung nicht widerlegen, hat die Arbeitnehmerin einen Anspruch auf Zahlung des Entgelts der männlichen Kollegen.
Diese Beweislastumkehr hatte das BAG zunächst auf die Entgeltdifferenz zum Median-Entgelt der männlichen Vergleichsgruppe beschränkt. Das Median-Entgelt bezeichnet denjenigen Entgeltwert innerhalb der Vergleichsgruppe, gegenüber dem jeweils die Hälfte der Beschäftigten ein höheres und die andere Hälfte ein niedrigeres Entgelt erzielt. 2023 entschied das BAG, dass jedenfalls bei sehr kleinen Vergleichsgruppen, der Vergleich zu einem einzelnen Kollegen (sog. Paarvergleich) ausreichen kann. Offen war, ob der Paarvergleich auch bei einer hinreichend großen Vergleichsgruppe möglich ist.
Sachverhalt und Vorinstanz
Die Klägerin war seit über 15 Jahren als Abteilungsleiterin beschäftigt. In der Klage hat die Arbeitnehmerin insbesondere das gleiche Entgelt wie ein männlicher Kollege, dessen Entgelt deutlich über dem Median-Entgelt der männlichen Vergleichsgruppe lag, geltend gemacht.
Nach Ansicht des LAG Baden-Württemberg besteht ein Anspruch nur auf die Differenz zwischen dem Median-Entgelt der weiblichen und der männlichen Vergleichsgruppe. Für die Vermutung einer Entgeltbenachteiligung bestehe keine „überwiegende“ Wahrscheinlichkeit. Denn der zum Vergleich herangezogene Kollege verdient deutlich mehr als der Durchschnitt vergleichbarer Kollegen. Überdies liegt das Entgelt der Klägerin unter dem Durchschnitt des Entgelts der vergleichbaren Kolleginnen. Aufgrund der Vielzahl männlicher Vergleichspersonen könne die Klägerin sich nicht auf eine einzige Vergleichsperson berufen.
Entscheidung des BAG
Das BAG hat nunmehr geurteilt, dass Entgeltgleichheitsklagen auf einen Paarvergleich gestützt werden können. Für die Vermutung einer Benachteiligung wegen des Geschlechts reicht die Entgeltdifferenz gegenüber einem einzelnen Kollegen des anderen Geschlechts mit gleicher oder gleichwertiger Arbeit aus. Die Anzahl an Vergleichspersonen und die Höhe der Median-Entgelte beider Geschlechter sei für die Vermutung ohne Bedeutung. Entgegen der Vorinstanz muss keine „überwiegende“ Wahrscheinlichkeit für eine geschlechtsbedingte Benachteiligung bestehen.
Ausblick und Bedeutung für die Praxis
Das LAG muss nun prüfen, ob die Vermutung einer Benachteiligung wegen des Geschlechts im Einzelfall durch objektive und geschlechtsneutrale Rechtfertigungsgründe widerlegt ist. Die Beklagte hat hierzu die unterdurchschnittliche Leistung der Klägerin vorgetragen.
Die Entscheidung des BAG erleichtert Entgeltdifferenzklagen erheblich. Arbeitgeber sollten deshalb die Gründe für Entgeltunterschiede möglichst sorgfältig dokumentieren. Neben einer besseren Qualifikation und einschlägiger Berufserfahrung ist bislang auch eine angespannte Lage auf dem Arbeitsmarkt als möglicher Rechtfertigungsgrund anerkannt.
Umsetzung der Entgelttransparenzrichtlinie – Empfehlungen der Kommission
Wichtig ist die Entscheidung des BAG auch im Kontext der ETRL, die bis zum 7. Juni 2026 vom Gesetzgeber in nationales Recht umzusetzen ist. Die ETRL erweitert insbesondere die Berichts- und Auskunftspflichten für Arbeitgeber erheblich. Entsprechend des Koalitionsauftrags der Bundesregierung hat Bundesministerin Karin Prien eine Kommission zur „Bürokratiearmen Umsetzung der Entgelttransparenzrichtlinie“ eingesetzt, die unmittelbar im Anschluss an das BAG-Urteil einen Abschlussbericht vorgelegt hat. Die Vorschläge sind rechtlich nicht bindend, dürften den für Januar 2026 erwarteten Gesetzesentwurf aber maßgeblich prägen. Allerdings waren in der Kommission Vertreter unterschiedlicher Interessen vertreten und die Beschlüsse wurden daher nicht immer einstimmig und einvernehmlich getroffen.
Auch künftige Privilegierung tarifgebundener Unternehmen?
Eine Angemessenheitsvermutung soll nach Ansicht der Kommission jedenfalls insoweit gelten, als die Vergleichsgruppe anhand der Tarifgruppe gebildet wird. Im Ausgangspunkt wäre hiernach von der Richtigkeit der wie bislang anhand der Tarifgruppe gebildeten Vergleichsgruppe auszugehen. Etwa könnten Vergleichsgruppen im Anwendungsbereich des ERA-Tarifvertrages der Metall- und Elektroindustrie anhand von Tätigkeitsbeschreibung (z.B. Betriebselektriker/-in 1) und Entgeltgruppe (z.B. EG 7) gebildet werden. Eine Korrektur soll nur erforderlich sein, wenn der Arbeitnehmer nachweist, dass die Tarifgruppe gegen Art. 4 Abs. 4 ETRL verstößt. Hiernach dürfen Arbeitgeber die Vergleichsgruppe im Rahmen des Auskunftsrechts und für die Berichterstattung über das Entgeltgefälle bei Gruppen von Arbeitnehmern (Art. 9 Abs. 1 lit. g) ETRL) zunächst anhand der tariflichen Gruppe bilden (z.B. tarifliche Tätigkeitsbeschreibung und tarifliche Entgeltgruppe). Die Frage, inwieweit die derzeit noch geltende gesetzliche Angemessenheitsvermutung für tarifliche Entgeltsysteme auch künftig in gleicher Reichweite mit der ETRL vereinbar sein wird, ist umstritten. Auch die Kommission hat sich hierzu nicht abschließend geäußert.
Überdies schlägt die Kommission vor, dass Tarifverträge, deren Anwendung gegen die ETRL verstoßen, ihre zwingende Wirkung verlieren. Entsprechend der rechtlichen Situation zu nachwirkenden Tarifverträgen sollen auch solche Tarifverträge durch Vereinbarung zwischen den Parteien (auch zwischen Arbeitgeber und dem einzelnen Arbeitnehmer) mit Wirkung für die Zukunft ersetzt werden können; auch die betriebliche Mitbestimmung soll insoweit wieder aufleben.
Beweislast und Rechtfertigungsgründe
Die Kommission äußert den Wunsch, dass ein Entgelttransparenzbericht der ein Gender Pay Gap von weniger als 5 % ausweist, geeignet sein soll, den Anschein einer geschlechterspezifischen Entgeltdiskriminierung zu widerlegen. Hiernach könnten Arbeitgeber künftig die entsprechend der o.g. Entscheidung auf einen Paarvergleich gestützte Vermutung einer Benachteiligung wegen des Geschlechts durch Vorlage eines entsprechenden Berichts widerlegen. In einer solchen Konstellation müssten dann der einzelne Arbeitnehmer darlegen und beweisen, dass eine Entgeltdiskriminierung wegen des Geschlechts vorliegt.
Beteiligung der Arbeitnehmervertretungen
Die Kommission ist überwiegend der Ansicht, dass „Arbeitnehmervertretungen“ im Sinne der ETRL die zuständigen Betriebsvertretungen sind. In betriebsratslosen Unternehmen soll die Mitwirkung freiwillig bleiben und hiernach auf eine „gemeinsame“ Entgeltbewertung verzichtet werden. Die Beteiligung der Arbeitnehmervertretungen beschränke sich auf die Festlegung der Kriterien nach Art. 4 Abs. 4 ETRL, die Bestimmung der Vergleichsgruppe und die Durchführung der gemeinsamen Entgeltbewertung. Eine echte Beteiligung bei der Erstellung der Entgelttransparenzberichte lehnt die Kommission überwiegend ab und verweist auf ein Recht auf „Anhörung zur Richtigkeit der Angaben“. Selbes gilt in Bezug auf die Beurteilung, ob eine Verpflichtung zur Abhilfe (Art. 9 Abs. 10 S. 3 ETRL) besteht. Nach Auffassung des überwiegenden Teils der Kommission reicht eine Unterrichtung der Arbeitnehmervertretungen aus.
Auskunftsrecht, Art. 7 ETRL und Berichtspflicht, Art. 9 ETRL
Nach Ansicht der Kommission sollen Arbeitnehmer künftig einmal im Jahr das Recht auf Auskunft bezüglich des Durchschnittsentgelts der Vergleichsgruppe haben. Die Kommission hat ohne Ergebnis diskutiert, ob eine Berichterstattung auf Konzernebene die Berichterstattungspflicht der Tochterunternehmen erfüllen könnte. Hierbei besteht die Gefahr, dass Gender Pay Gaps einzelner Unternehmen innerhalb des Konzerns verrechnet werden könnten. Denn es müsste nur noch für den Konzern insgesamt berichtet werden, jedoch nicht für die einzelnen Gesellschaften. Einig war sich die Kommission lediglich darin, dass die Berichte der einzelnen Gesellschaften auf Konzernebene gebündelt werden können.
Der Begriff „Entgelt“ soll sich in diesem Zusammenhang auf das tatsächlich gemäß der Gehaltsabrechnung ausbezahlte Entgelt erstrecken. Hiernach dürfen freiwillige Wahlleistungen (z.B. Fitnessstudio-Zuschläge, Job Rad), Leistungen, die nicht vom Vertragsarbeitgeber gewährt werden (z.B. Aktienoptionen, Phantom Stocks, etc.) und Zahlungen ohne Bezug zur Arbeitsleistung (z.B. Abfindungen) ausgenommen werden. Bezüglich variabler und ergänzender Entgeltbestandteile (z.B. Zuschläge, Tantiemen, Leistungsboni) sollen die Unternehmen selbst entscheiden können, ob diese in Summe oder einzeln berichtet werden.
Arbeitgeber sollen die Berichte getrennt für unterschiedliche Standorte (z.B. verschiedener Bundesländern mit unterschiedlichen Gehaltsniveaus) sowie für historisch gewachsene Altverträge erstellen können. Hiernach könnten Vergleichsgruppen künftig neben Kompetenzen, Belastung, Arbeitsbedingungen und Verantwortung (Art. 4 Abs. 4 ETRL) auch Standort und Einstellungszeitpunkt berücksichtigen.
Fazit
Die Vorschläge der Kommission bieten wichtige Anhaltspunkte für die nationale Umsetzung. Allerdings befasst sich der Abschlussbericht teils sehr kleinteilig mit Einzelfragen und lässt eine Vielzahl praktischer Fragen offen. Die Kommission betont, dass es an einigen Eckpunkten keine übereinstimmende Meinung gab. In den Sondervoten wird berechtigte Kritik an der Unionsrechtskonformität der (überwiegenden) Ansicht der Kommission geäußert. Fest steht: Die verschärften Anforderungen nach der ETRL kommen und die Erfolgsaussichten von Entgeltgleichheitsklagen steigen mit Blick auf die o.g. BAG-Entscheidung erheblich.
Arbeitgeber sollten deshalb bereits jetzt bestehende Vergütungssysteme und etwaige Gender Pay Gaps im Unternehmen prüfen. Bestehen bei identischen Tätigkeiten erhebliche Entgeltdifferenzen zwischen den Geschlechtern, die sich nicht durch sachliche Kriterien begründen lassen, sollten Arbeitgeber die verbleibende Zeit nutzen, um individuelle und strukturelle Entgeltdifferenzen zu korrigieren.
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